Digitale Ethik und das ChatGPT-Momentum

Spätestens mit ChatGPT wird deutlich, dass es höchste Zeit ist, sich mit Digitaler Ethik auseinanderzusetzen. Kaum eine technologische Entwicklung hat in den letzten Jahren für mehr Furore gesorgt, als der – erst im November als Beta-Version veröffentlichte – Chatbot von OpenAI. Während sich die Auswirkungen auf Gesellschaft und Arbeitswelt noch kaum absehen lassen, ist eines bereits klar: Generative Künstliche Intelligenz (Generative KI) wird nicht mehr aus unserem Arbeitsalltag wegzudenken sein – und damit auch nicht ihre ethischen Implikationen.

Ethische Herausforderungen erreichen ein neues Niveau

Bereits vor ChatGPT wurde Generative KI von Gartner als einer der Top Technologie Trends identifiziert. KI-Tools dieser Art zeichnen sich dadurch aus, dass sie neuartige, kreative Inhalte erzeugen können. Tatsächlich sind neben textzentrierten Modellen wie ChatGPT in den letzten Monaten eine Vielzahl ähnlicher Lösungen entstanden, die zum Beispiel Bilder, Videos, Stimmen, Musik, Daten oder auch Softwarecodes produzieren. Da ihr Output immer hochwertiger wird, sind menschen- und maschinenerzeugte Inhalte oft nicht mehr zu unterscheiden. Gleichzeitig ist die Zugangsschwelle zu solchen Lösungen niedriger geworden, sodass ihre Nutzung deutlich größeren Anwendergruppen offensteht.

Ethische Herausforderungen rund um KI erhalten damit eine neue Dringlichkeit. So stehen dem bemerkenswerten Spektrum an Anwendungsfällen einige ernstzunehmende Risiken gegenüber:

  • Aus gesellschaftlicher Sicht gehören zum Beispiel Diskriminierung, Desinformation oder Fragen des Urheberrechts, des Datenschutzes, der Datenhoheit und der digitalen Souveränität dazu.
  • Aus der Perspektive von Unternehmen drohen Reputationsverlust, Vertrauensverlust bei Kunden oder eine potenzielle rechtliche Haftung.

Dass dies mehr als nur abstrakte Risiken sind, war auch schon vor ChatGPT klar. Das neue Niveau dieser Herausforderungen ergibt sich nun aber daraus, dass eine unkritische oder ungekennzeichnete Verwendung von KI-Erzeugnissen immer schwieriger zu kontrollieren ist. Je hochwertiger und zugänglicher KI-gestützte Anwendungen sind, desto alltäglicher werden sie von Mitarbeitenden irgendwelcher Organisationen oder Unternehmen eingesetzt. Neben dem willentlichen Missbrauch erhöht sich damit das Risiko, dass Unwahrheiten, Verzerrungen oder Fehler, die von einer KI erzeugt wurden, auch unbemerkt übernommen werden und dass diese wiederum auf Produkte, Leistungen oder Unternehmen zurückfallen. Um beim Beispiel zu bleiben: Nicht zufällig veröffentlichte OpenAI bereits wenige Wochen nach ChatGPT ein weiteres Tool zur Erkennung von KI-produzierten Texten.

Die Bedeutung ethischer Grundsätze ist höher denn je

Ethische Fragestellungen lassen sich also weder als rein politische Aufgabe noch als Verantwortung großer Technologiekonzerne abtun. Immer wichtiger wird insbesondere die digitale Mündigkeit der Nutzer. Je alltäglicher wir Tools wie ChatGPT nutzen, desto wichtiger ist der Aufbau von Kompetenzen, von Verhaltenskodexen oder Selbstverpflichtungen – eine Aufgabe, die ein jedes Unternehmen betrifft.

Neben der Einhaltung bestehender und kommender rechtlicher Vorschriften gilt es darüber hinaus vorbeugende Maßnahmen zu implementieren, Transparenz zu schaffen und Standards zu etablieren. Kurzum, für einen verantwortungsvollen Umgang mit KI, aber auch mit anderen Technologien bedarf es ethischer Grundsätze sowie deren Verankerung in der Organisation.

Bei der Entwicklung solcher Grundsätze sind fünf Prinzipien von besonderer Bedeutung, wie Sopra Steria bereits in einem Whitepaper herausgearbeitet hat:

  1. Bei Digitaler Ethik geht es nicht nur um Technologie, es geht um Menschen und Vertrauen.
  2. Die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften ist notwendig, aber nicht ausreichend.
  3. Digitale Ethik muss während des gesamten Technologie- und Geschäftslebenszyklus berücksichtigt werden.
  4. Es gibt keinen „One-Size-fits-all“-Ansatz.
  5. Praktisches ethisches Handeln führt zu besseren Ergebnissen und schafft geschäftlichen Nutzen.

Der Hype um ChatGPT zeigt also auf, dass es dafür höchste Zeit ist – gerade weil dessen Anwendungsfälle so eindrucksvoll sind. Mehr denn je wird die technologische Durchdringung des Alltags sichtbar und damit auch die Bedeutung der Digitalen Ethik.

 


Anton Rühling ist Senior Management Consultant bei Sopra Steria Next. Er berät Kunden im Public Sector zu Strategie- und Prozessthemen sowie rund um das Thema Datenstrategie.