BANI-Welt in Manager-Köpfen noch keine Realität
79 Prozent der Unternehmen und öffentlichen Verwaltungen in Deutschland gehen davon aus, die große Zahl parallel auftretender Herausforderungen gut bis sehr gut bewältigen zu können. Die Stimmung in den Chefetagen ist damit quer durch alle Branchen unerwartet selbstbewusst. Beim Blick auf die gesamtwirtschaftliche Lage ist allerdings nur die Hälfte zuversichtlich. Das zeigt: Unternehmen und Public Sector gehen von schlechteren Rahmenbedingungen aus, sehen die eigene Organisation allerdings mehrheitlich gut aufgestellt. Das ergibt die Studie Managementkompass Survey BANI von Sopra Steria.
Die Hälfte der Unternehmen und Behörden betrachtet immer wieder neu auftretende Krisen und Disruptionen als neue Normalität. Wo früher klassischerweise Wettbewerb, neue Kunden- oder Bürgererwartungen und Digitalisierung zu den Top-Herausforderungen zählten, sind es heute zusätzlich die fehlenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, hohe Energiepreise und die Inflation. Ereignisfülle und Informationsmenge haben überdies stark zugenommen.
Absolute Top-Herausforderung ist in allen untersuchten Branchenclustern der Fachkräftemangel. Der Personalnotstand zwingt viele Unternehmen und Verwaltungen in die Defensive. 63 Prozent können nicht vorausschauender planen und handeln, weil die personellen Ressourcen fehlen. Speziell die verarbeitende Industrie ist von multiplen externen Effekten betroffen. Konzerne klagen dabei stärker über eine sinkende Nachfrage als der Mittelstand in Deutschland.
Gestresst, aber nicht untätig
Die Grundstimmung zum Jahresbeginn ist dennoch mehrheitlich positiv. Die Wahrnehmung einer brüchigen, ängstlichen, nonlinearen und unverständlichen sogenannten BANI-Welt lässt sich flächendeckend nicht feststellen. Die Unternehmen und Behörden bezeichnen die Lage zwar als gestresst. Auslöser sind die vielen parallelen Herausforderungen und deren Wucht. Verglichen mit der Stimmung von vor fünf Jahren schätzt zudem die Mehrheit, dass Unternehmen und Behörden insgesamt heute mehr Bedenken haben. Allerdings führt diese Lage nicht zu einer Lähmung. 53 Prozent der Befragten geben an, die eigene Organisation sei aktiv, um die Herausforderungen zu meistern. Nur drei Prozent sprechen von Angst, zeigt die Studie.
„Zahlreiche Unternehmen stellen offenbar fest, dass viele Szenarien aus dem Jahr 2022 wie Energieknappheit und Versorgungschaos bis hin zu Unruhen rückblickend teilweise zwar eingetreten sind, sich aber nicht so stark auf die Geschäftsergebnisse ausgewirkt haben wie erwartet“, sagt Michael Zwergel, Managementberater bei Sopra Steria Next. „Das sind gute Nachrichten, sollte aber nicht der Anlass zum Zurücklehnen sein“, so Zwergel.
Unternehmen und Behörden wollen anpassungsfähiger werden
Der Berater sieht das Risiko, dass die Verantwortlichen die Anfälligkeit ihrer komplett auf Effizienz getrimmten Unternehmen und Behörden übersehen und strategische Veränderungen ausbleiben. „Die Wirtschaft ist heute hochindustrialisiert und derart eng verwoben, dass Ministörungen ganze Systeme ins Wanken bringen können. Dann steht die Produktion still, weil Bauteile nicht just in time verfügbar sind, oder außergewöhnliche Kundenanforderungen können nicht bedient werden, weil Geschäftsprozesse dafür nicht ausgelegt sind. Zudem können Projekte nicht finanziert werden, weil Zahlungsströme durch Cyberattacken oder neue politische Lagen nicht fließen, wie sie sollen.“
Eine zweite Gefahr sieht Michael Zwergel darin, dass sich die Transformation abschwächt, die nötig wäre, um die IT schneller an neue Rahmenbedingungen anpassen zu können. Ein Drittel der Befragten räumt immerhin ein, dass es auf Managementebene zu einem strategischen Umdenken kommen muss, um in der Lage zu sein, besser mit exogenen Krisen und einem generell „chaotischeren“ Wirtschaftsgeschehen umzugehen. Personelle Konsequenzen auf der Führungsebene, beispielsweise in Form von Umbauten bei den Ressorts, haben 15 Prozent gezogen. Es ist zudem Konsens bei Unternehmen und öffentlicher Verwaltung, dass sie sich schneller an neue Bedingungen anpassen müssen. Die Mehrheit setzt auf die Anpassung ihrer Prozesse sowie auf Qualifizierung und Befähigung. Mitarbeitende sollen mehr Kompetenzen erhalten, damit sich Teams flexibel zusammenstellen lassen, sobald sich die Anforderungen ändern.
Technologiepotenzial wird nicht ausgeschöpft
Langfristige Veränderungen, beispielsweise Präventivmaßnahmen, die Stärkung der Analysefähigkeiten und technologische Unterstützung, sind dagegen weniger relevant, um die Herausforderungsfülle zu meistern. Nur 29 Prozent der Befragten nutzen derzeit Automatisierung, eine der wirksamsten Antworten auf Ressourcenengpässe. In der öffentlichen Verwaltung sind es sieben Prozent.
Vor allem Banken und Versicherer dringen mit zunehmender Digitalisierung in die Ökosysteme ihrer Kunden vor und klinken sich auf Plattformen ein. Hierfür investieren sie häufiger als andere Branchencluster in moderne IT wie Cloud-Computing und Künstliche Intelligenz. Die öffentliche Verwaltung setzt zudem verstärkt auf die Kooperation in Netzwerken. Bund, Länder und Kommunen suchen die Nähe zu GovTech-Start-ups und zu weiteren Partnern aus der Wirtschaft, um Transformationen schneller umzusetzen. Rund jeder zweite Anbieter in der verarbeitenden Industrie kooperiert mit neuen Lieferanten und verbreitert so sein Netz. Ebenso viele bauen bewusst Überkapazitäten auf, um bei neuen Krisen gerüstet zu sein.
„Unternehmen und Public Sector erkennen, dass sich die Gesamtlage verändert, die Antworten und Rezepte sind allerdings vielerorts alte Bekannte, beispielsweise noch mehr Prozessoptimierung. Zudem wird das Potenzial von Technologien als wichtigen Verbündeten in einer zunehmend unübersichtlichen Welt nicht ausgeschöpft oder nicht gesehen“, sagt Michael Zwergel von Sopra Steria Next.
Diese Online-Befragung wurde im Januar 2023 von F.A.Z. Business Media | research im Auftrag des F.A.Z.-Instituts und von Sopra Steria durchgeführt. Insgesamt wurden 419 Entscheiderinnen und Entscheider aus Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung befragt.
Die Ergebnisse der Studie und Details zur Methodik finden Sie auf dieser Website.
Hintergrundinformation: BANI löst VUCA ab
Das Akronym BANI (Brittle, Anxious, Nonlinear, Incomprehensible) wurde vom Zukunftsforscher Jamais Cascio entworfen und dient als Rahmenwerk, mit dem sich Akteure besser in den chaotischen Zeiten zurechtfinden sollen. BANI beschreibt, dass sich Organisationen mit porösen Systemen konfrontiert sehen, die zwar stark erscheinen, aber innerlich anfällig für Störungen sind. Durch die Flut von Nachrichten stehen zudem immer mehr Informationen zur Verfügung, die verunsichern und verängstigen, aber nicht zu besseren Entscheidungen führen. Um diesen Herausforderungen gerecht zu werden, müssen Unternehmen und Verwaltungen – der BANI-Logik folgend – die Welt der linearen Kausalzusammenhänge verlassen und zu einem systemischen Denken übergehen. Das BANI-Konzept gilt als Aktualisierung des VUCA-Konzepts, das die Welt als Volatile (volatil), Uncertain (unsicher), Complex (komplex) und Ambiguous (mehrdeutig) beschreibt.