Government Analytics im öffentlichen Sektor

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Die Einführung von Business Analytics stellt einen Paradigmenwechsel im öffentlichen Sektor dar. Dadurch können in erster Linie administrative Prozesse optimiert, transparenter gestaltet und Bürokratie abgebaut werden. Doch im Kern bietet Government Analytics erstmals die Möglichkeit, den Erfolg politischer Maßnahmen zu messen. Zwar gibt es die hierfür erforderliche Analysetechnik schon seit geraumer Zeit, aber die erforderlichen strukturierten Daten werden erst seit wenigen Jahren durch E-Government erhoben.

Maciej Dabrowski, Experte für die elektronische Abwicklung von Förderprozessen bei Sopra Steria, erklärt, wie Government Analytics auf E-Government aufbaut und wie sich die Option, die Wirksamkeit politischer Entscheidungen faktenbasiert messen zu können, auf die Vergabe von Fördermitteln auswirkt.

 

Herr Dabrowski, was können wir uns unter Government Analytics vorstellen?

Auf den Punkt gebracht, ist Government Analytics Business Analytics im öffentlichen Sektor. Allerdings gibt es einen gravierenden Unterschied: Während Unternehmen wie Amazon und Google Business Analytics dazu einsetzt, um ihre Gewinne zu maximieren, verfolgen staatliche Stellen Ziele, die wesentlich schwieriger messbar sind. Wie misst man beispielsweise die Effizienz von Fördermaßnahmen zur Rehabilitation von Straffälligen? Damit verglichen ist die Erfolgsmessung bei Unternehmen relativ einfach. Aber das ist die Kernherausforderung von Government Analytics: Man benötigt eine Vielzahl an Daten und Vergleichsmöglichkeiten, um eine Aussage über die Wirksamkeit bestimmter Maßnahmen treffen zu können.

 

Wie werden diese Daten erhoben?

Government Analytics baut auf den Daten auf, die durch E-Government erhoben werden. Dadurch, dass erstmals elektronisch strukturierte Daten gesammelt werden, eröffnen sich neue Möglichkeiten für Analysen und Auswertungen. Ein gutes Beispiel dafür ist ein Einkauf bei Amazon: Durch Daten, die bei einer Vielzahl von Einkäufen erhoben werden, weiß Amazon automatisch, dass Kunden, die eine Waschmaschine kaufen, auch einen Wäscheständer und einen Wäschekorb benötigen. Dahinter steckt ein relativ simpler Algorithmus, der genauso gut im öffentlichen Bereich genutzt werden kann, zum Beispiel um aus bestimmten Konstellationen auf eine potenzielle Kindeswohlgefährdung zu schließen.

 

In welchen Bereichen wird Government Analytics eingesetzt?

Ein wichtiges und vielversprechendes Anwendungsfeld ist die Vergabe von Fördergeldern. Die EU fördert finanziell bereits seit Jahrzehnten zum Beispiel mit dem europäischen Sozialfond Maßnahmen, um Jugendliche aus prekären sozialen Verhältnissen auf dem Arbeitsmarkt zu integrieren. Seit einigen Förderperioden verlangt die EU-Kommission, dass sich diese Förderung an den Ergebnissen orientiert. Und hier kommen wir ins Spiel: Steria Mummert ist seit etwa zehn Jahren damit beauftragt, diese Aufgabe in IT-Prozesse zu gießen.

Mit E-Cohesion kombinieren wir E-Government mit Government Analytics. Wir betrachten Daten aus einer Vielzahl von Förderprojekten, von Unternehmen, die schwer integrierbare Jugendliche ausbilden, über öffentliche Stellen, die Projekte an Schulen durchführen, bis hin zu Einzelpersonen, die finanzielle Mittel für eine Weiterbildung beantragen. Für jeden Förderfall kann eine Bewertung vorgenommen werden. Aggregiert man die Daten von Tausenden von Projekten, kann man eine Aussage darüber treffen, ob eine Maßnahme tatsächlich das bezweckte Ziel erreicht oder ob die Fördergelder an anderer Stelle besser eingesetzt wären. Die hierfür notwendige Technik hat sich in Echtzeit zu verarbeiten. Mit einer Realtime Evaluation können wir nicht nur eine Aussage über den Status quo, sondern auch über das voraussichtliche Ergebnis treffen. Also zum Beispiel darüber, ob der Einsatz der Fördergelder tatsächlich dazu führt, dass mehr Jugendliche aus sozial schwierigen Verhältnissen einen Schulabschluss machen oder dass die Existenzförderung mehr Betriebe vor der Insolvenz rettet

 

Das heißt, im Grunde macht Government Analytics Politik messbar?

Ja, genau das ist der Paradigmenwechsel, der sich derzeit abzeichnet. Abstrakt ausgedrückt, können wir mithilfe von analytischen Werkzeugen und Mustererkennungen auf Datenbasis politische Instrumente auf ihre Effizienz hin bewerten. Das führt dazu, dass Entscheidungen nicht mehr aus dem Bauch heraus, sondern auf Faktenbasis getroffen werden, was wir als Evidence-based Decision Making bezeichnen. Auf der Mikroebene können wir sogar prädiktive Aussagen über den Erfolg von Maßnahmen im Einzelfall treffen, also prognostizieren, welche Instrumente für welchen Langzeitarbeitslosen den größten Erfolg versprechen.

Brisant wird dies, wenn es um sehr große Summen geht, zum Beispiel um sozial- und wirtschaftspolitische Großprojekte wie Konjunkturpakete. Das ist momentan noch Zukunftsmusik, denn für solche Analysen müsste man sehr viele Daten heranziehen. Aber letzten Endes zielt Government Analytics auf die Wirkungsmessung von politischen Maßnahmen und Steuergelder-Verwendung ab. Im Moment sind wir schon einen großen Schritt weiter, indem wir Aussagen über das Gesamtförderprogramm des Europäischen Sozialfonds ESF machen können.

 

Wie wurden die Ergebnisse von Fördermaßnahmen bis dahin gemessen?

Mithilfe von wissenschaftlichen Untersuchungen. Das war zwar fundiert, hat aber den Nachteil, dass es keine Echtzeit-Auswertung oder sogar in die Zukunft gerichtete prädiktive Aussagen zulässt. Banken nutzen ein ähnliches Verfahren, das sogenannte Scoring schon seit geraumer Zeit, bei der Kreditvergabe. Auf dieselbe Weise kann die EU mithilfe von Government Analytics Subventionsbetrug bekämpfen. Hierfür gilt es, das Wissen von Betrugsexperten in Modelle zu gießen, in IT-Systeme zu implementieren und diese Prozesse zu automatisieren. Voraussetzung für solche Auswertungen ist eine saubere Datenbasis. Moderne IT-Verfahren, z.B. im Förderwesen, ermöglichen die Auswertung jedes einzelnen Datenfeldes in einem Förderfall. Damit ist das Auffinden von Auffälligkeiten eher möglich.

Wo liegen die Grenzen für Government Analytics, vor allem wenn es um prädiktive Analysen geht?

Government Analytics hat ethische Grenzen, die wir diskutieren müssen. Bei der Bewertung sozialpolitischer Maßnahmen ist besonders viel Sensibilität gefragt. Wir haben eine Machbarkeitsstudie durchgeführt, ob man Daten zusammenführen kann, um eine Kindeswohlgefährdung vorherzusagen. Das ist sowohl technisch als auch rechtlich möglich, aber ethisch bedenklich und gesellschaftlich kaum akzeptiert. Eine weitere Grenze ist der Datenschutz. Hier ist viel Sachverstand gefordert. Datenschutz-Beauftragte müssen administrativ und rechtlich definieren, welche Daten wofür erhoben und dass personenbezogene Daten nur anonymisiert ausgewertet werden.

 

Was sind die Treiber und wo steht Deutschland in dieser Entwicklung?

Der größte Antrieb ist der Effizienzdruck, unter dem die Bundesrepublik steht. Denn trotz leerer Staatskassen steigen die Anforderungen. Die meisten Fördertöpfe sind gedeckelt, zum Beispiel zur Rehabilitation von chronisch Kranken und Unfallopfern. Durch den demographischen Wandel nimmt die Anzahl der Rehabilitanden aber in einem höheren Maß als das Budget zu. Dadurch steigt der Druck zu einer Überprüfung, ob das Geld sinnvoll investiert wird. Im internationalen Vergleich haben wir Nachholbedarf, in vielen Bereichen ist Government Analytics noch Neuland. Aber es gibt auch Ausnahmen, zum Beispiel bei der Kriminalitätsbekämpfung.

 

 

Herr Dabrowski, vielen Dank für das Gespräch!

 


Maciej Dabrowski

Experte für die elektronische Abwicklung von Förderprozessen bei Sopra Steria.

 

 

 

 

 

 


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