Versicherer: Neukunde kommt noch vor Stammkunde - Cross-Selling-Potenzial verpufft

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Drei Viertel der Versicherer in Deutschland möchten durch Neukunden wachsen, jeder dritte hat vorrangig Neukunden im Blick. Demgegenüber sehen 67 Prozent der Versicherer im Wachstum mit Stammkunden einen großen strategischen Nutzen, nur 17 Prozent einen sehr großen. Die Gründe für die Unterschiede: Die Vergütungsmodelle im Vertrieb verändern sich nur langsam in Richtung Cross- oder Upselling mit Stammkunden. Zudem behindern das immer noch vorhandene Spartendenken sowie fehlende Multikanalstrukturen den Verkauf übergreifender Versicherungsdienstleistungen je nach Lebenssituation. Die nötigen Investitionen in das Aufbrechen von Datensilos und neue Konzepte zur Nutzung von Daten hat das Gros der Versicherer noch vor sich. Das ergibt die Studie „Branchenkompass Insurance 2019" von Sopra Steria.

Die Versicherungsbranche tut sich mit neuen Vergütungsmodellen, die vor allem die laufende Betreuung der Stammkunden belohnen, noch schwer. Das gilt vor allem für das traditionell auf Neuabschlüsse ausgelegte Lebensversicherungsgeschäft. Im Zuge eines drohenden Provisionsverbots bieten Versicherer mittlerweile sogenannte Nettopolicen an. Statt der Provisionskosten, die mit den Beiträgen sukzessive abbezahlt werden, fällt einmalig ein festes Honorar an. Bei fondsgebundenen Rentenversicherungen arbeiten einige Anbieter mit einer Bestandspflegevergütung nach dem Net-Asset-Value-Ansatz. Grundlage für die Vergütung ist das Vertragsguthaben des Versicherungsvertrags. Andere Versicherer bieten Vermittlern und Kunden ein variables Modell. Abschlussvergütungen und Folgehonorar können im Rahmen einer Bandbreite frei gewählt werden. Die Idee dahinter lautet Transparenz. Zudem sollen Makler und Vermittler so Anreize bekommen, ihr Geschäftsmodell in Richtung einer laufenden Vergütung umzustellen. Ein weiterer Ansatz ist ein „Pay-per-Contact“-Modell.

Um künftig stärker mit Bestandskunden zu wachsen und den Vertrieb zu stärken, will mehr als jeder vierte Versicherer mit innovativen Produkten und verbessertem Service (28 Prozent) überzeugen. Um Stammkunden gerade während der langen Laufzeit von Lebens- und Rentenversicherungen mehr Freiheiten zu geben und für neue Kontaktanlässe zu sorgen, setzen einige Versicherer zunehmend auf anpassbare Produkte. Kunden können beispielsweise Beiträge je nach Lebenslage senken und erhöhen sowie Auszahlungen aus dem angesparten Vermögen vornehmen. Diese Flexibilität schafft Kundenzufriedenheit und zusätzliche Gesprächsanlässe für die Vermittler. Beides fördert das Cross- und Upselling-Potenzial.

Nachholbedarf beim Cross-Selling

Die Mehrheit der Versicherer bewertet die Chancen, mit Stammkunden zu wachsen, grundsätzlich als groß, so das Ergebnis des im Rahmen der Studie durchgeführten Think Tanks mit Experten aus der Branche. Die Anzahl der Policen pro Haushalt ist in der Regel höher als die durchschnittliche Vertragszahl der Kunden. Trotz des Potenzials nutzt die Assekuranz ihre Chancen aktuell nicht, weder auf klassischem noch auf digitalem Wege. Dabei sind gerade Online-Vertriebswege prädestiniert, um bei Stammkunden zu punkten. Das Vertrauen in den Versicherer besteht bereits. Neukunden sind dagegen digitalen Kanälen gegenüber skeptischer, vor allem bei Unternehmen, die sie nicht kennen. Die Zahl der nötigen Kontakte pro Abschluss ist signifikant größer.

Den Versicherern fehlt es allerdings noch an spartenübergreifenden und datenbasierten Konzepten. „Die Spartentrennung ist im digitalen Zeitalter veraltet und verhindert Geschäft, vor allem mit den Stammkunden“, sagt Dominic Testrut, Director Insurance Consulting von Sopra Steria. „Die Versicherten erwarten ganzheitliche Problemlösungen, die beispielsweise Lebenswelten wie Gesundheit, Mobilität und Wohnen verknüpfen“, so Testrut.

Grundsätzlich haben Versicherungsunternehmen eine gute Basis. Daten wie das Alter, der Familienstand, der Beruf, die Wohnsituation oder das Einkommen werden explizit bei Vertragsabschluss vom Kunden erfragt. Weil allerdings in vielen Unternehmen das Omnikanal-Management nicht funktioniert, entstehen unbefriedigende Kundenerlebnisse. Der Kunde wird nicht auf dem aktuellen Stand seiner Kommunikation bedient. Es fehlen Regeln, um die nahtlose Übergabe der Daten zwischen den Kanälen zu gewährleisten. Zudem werden verhaltensbasierte Daten noch nicht systematisch erhoben und für die Cross-Selling-Produkte eingesetzt. Auf diesem Gebiet setzt derzeit ein Umdenken ein. Jeder fünfte Versicherer hat die Integration der Kommunikationskanäle weit oben auf der Investitionsliste für die kommenden drei Jahre, so der Branchenkompass Insurance 2019.

Über die Studie:

Die Ergebnisse der Studie Branchenkompass Insurance 2019 wurden in zwei Schritten erhoben. Sopra Steria und das F.A.Z.-Institut haben Versicherungsführungskräfte in einem Think Tank zusammengebracht und mit ihnen über die Themen diskutiert, die die Branche bewegen. Kundenzentrierung, Vertrieb und Angebotsmanagement mithilfe Künstlicher Intelligenz sowie Cloud Computing standen im Fokus. Im März und April 2019 wurden darüber hinaus 100 Führungskräfte aus Versicherungen zu den Branchentrends, Herausforderungen und Strategien befragt. Die Onlinebefragung wurde mit Führungskräften von Versicherern unterschiedlicher Sparten und Größe durchgeführt.

Zum Branchenkompass Insurance 2019

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