„In den kommenden Jahren dürften wir eine Vielzahl innovativer Anwendungen sehen, die die Versorgungsqualität verbessern.“

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Nachgefragt bei Dr. Tina Wulff, Leiterin Digital Health bei Sopra Steria, zur Digitalisierung des Gesundheitswesens und zu Digital-Health-Lösungen in Deutschland.

Tina, gemeinsam mit Prognos hat Sopra Steria Smart-City-Lösungen in Deutschland unter die Lupe genommen. Eines von vier Analyse-Clustern ist Digital Health. Wie fällt dein Fazit aus: Wie viel digitales Gesundheitswesen findet sich in Deutschland?

Deutschland ist bereits heute bei der Digitalisierung des Gesundheitssektors weiter, als es die öffentlichen Debatten oft vermuten lassen. Tatsächlich sehen wir, dass viele Digital-Health-Lösungen in der Praxis für unterschiedliche Anwendungsgebiete umgesetzt sind und werden. Die Corona-Krise hat Digital Health nochmal einen großen Wachstumsschub verliehen, denn die Notwendigkeit und die Bedarfe für digitale Lösungen sind in der Pandemie deutlich sichtbar geworden. Das hat auf Kundenseite nochmals die Akzeptanz und Nachfrage erhöht und auf Angebotsseite zur Entwicklung neuer Lösung geführt.

Damit sind die Technologien bzw. Digital-Health-Lösungen vorhanden – nur eben noch nicht flächendeckend. Jetzt gilt es, die einzelnen, oft regionalen Projekte auch in die Fläche zu bringen und mithilfe digitaler Lösungen zentralen Herausforderungen im Gesundheitswesen zu begegnen. Dazu gehören

  1. der Fachkräftemangel und die hohe Arbeitsverdichtung in Pflege und medizinischer Betreuung
  2. der demografische Wandel bei Patienten und Beschäftigten
  3. der steigende Wettbewerbs- und Kostendruck

Innovative Technologien können alle drei Herausforderungen adressieren – wie wir in unserer Studie mit Praxisbeispielen gezeigt haben. Hier haben wir gezielt pragmatische und nutzenstiftende Digital-Health-Lösungen identifiziert, um zu zeigen: Deutschland kann auch digitales Gesundheitswesen. Ein Beispiel ist eine intelligente Inkontinenzversorgung, die den Pflegefachkräften dabei hilft, täglich im Schnitt 15 Minuten Arbeitszeit zu sparen. Das mag zunächst nach wenig klingen. Doch übertragen auf die gesamte stationäre und teilstationäre Altenpflege ließen sich Beschäftigte so um rund 26.500 Stunden entlasten – und dabei sprechen wir hier nur von einer einzigen Anwendung. Damit lässt sich leicht erahnen, wie wichtig es ist, solche Anwendungen in die Fläche zu tragen, um wirkliche Mehrwerte für das Gesundheitswesen zu erzielen und Nutzen durch digitale Lösungen zu stiften.

Was muss geschehen, damit aus Pilotprojekten und Insellösungen flächendeckende Angebote werden?

Für mehr Digital Health im Gesundheitswesen braucht es in der Summe eine grundsätzliche Transformation. Gesetzliche Rahmenbedingungen und Anreizsysteme müssen so angepasst werden, dass sie den Anforderungen moderner Technologien sowie von deren Implementierung und flächendeckender Nutzung gerecht werden. Zu oft haben wir es im Gesundheitswesen noch mit obsoleten, heterogenen IT-Landschaften zu tun. Es bedarf somit Investitionen in interoperable Systeme und moderne IT-Infrastrukturen. Prozesse müssen entsprechend angepasst und digitalisiert werden und, ganz wichtig, die Mitarbeiter müssen Teil dieser Veränderung bzw. Transformation sein. Das erfordert Transferdenken sowie ein digitales, interdisziplinäres Mindset, um digitale Lösungen in und für die Praxis zu schaffen. Und natürlich ist bei der Entwicklung flächendeckender Angebote das Zusammenspiel aller Akteure gefragt – und zwar über Sektorgrenzen hinweg.

Wie steht es um die Akzeptanz digitaler Healthcare-Angebote bei den Patienten?

Sehr gut, denn auch wenn oft angenommen wird, dass es nicht ausreichend Akzeptanz gegenüber digitalen Lösungen gibt, sind entgegen dieser Annahme die Patientinnen und Patienten nicht das Problem. Im Gegenteil: 45 Prozent der Menschen, die das Meinungsforschungsinstitut Civey im Auftrag von Sopra Steria befragt hat, haben beispielsweise bereits eine Online-Sprechstunde genutzt. Jeder Dritte würde aus Gründen der Zeitersparnis für die fachärztliche Betreuung auf telemedizinische Lösungen zurückgreifen. Diese Offenheit gegenüber innovativen Technologien auf Patientenseite stimmt optimistisch und führt natürlich auch auf der Angebotsseite zur (Weiter-)‌Entwicklung von Digital-Health-Lösungen.

Kannst du noch einige Beispiele für digitale Lösungen nennen, von denen Patienten in Zukunft verstärkt profitieren könnten?

Leserinnen und Leser der Studie werden auf das Vorhaben „Happie Haus“ stoßen. Die Smartphone-App unterstützt Brustkrebs-Patientinnen und ist ein schönes Beispiel dafür, wie sich medizinische Behandlungen und Therapien außerhalb von Krankenhäusern und Arztpraxen erfolgreich begleiten lassen. Mit Inkrafttreten des Digitale-Versorgung-Gesetzes hat der Gesetzgeber im Oktober 2020 zudem eine Möglichkeit dafür geschaffen, dass Patienten sogenannte digitale Gesundheitsanwendungen auf Rezept erhalten, und auch mit dem Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) wird nochmal gezielt die Digitalisierung in Krankenhäusern mit einem umfangreichen Investitionsprogramm angeschoben. In den kommenden Jahren dürften wir somit sicher eine Vielzahl innovativer Anwendungen sehen, die die Versorgungsqualität verbessern und die Effizienz steigern. So wird die Zahl der Applikationen steigen, die Patienten bequem über ihre mobilen Devices nutzen (z. B. E-Portale, Apps für Therapiebegleitung, Monitoring oder Vorsorge), die Leistungserbringer in ihre Behandlungsabläufe integrieren (z. B. die HoloLens, telemedizinische Anwendungen) oder die Kostenträger nutzen, um administrative Prozesse zu unterstützen (Stichwort: digitale Services).

Krankenhäuser sind der Dreh- und Angelpunkt in jedem Gesundheitssystem. Wie sieht es im Krankenhaussektor mit der Digitalisierung aus?

Das Virtuelle Krankenhaus NRW ist ein sehr gutes Beispiel mit Leuchtturmcharakter in der Versorgungslandschaft. Der Grundansatz dort ist das Vermitteln sogenannter Telekonsile, also die telemedizinische Beratung sowie der Austausch unter den Ärztinnen und Ärzten. Auf diese Weise greifen behandelnde Mediziner auf ein Netzwerk von Spezialisten zurück – und das vollkommen ortsunabhängig. Lange Wartezeiten für eine ergänzende medizinische Einschätzung lassen sich so reduzieren, ebenso die Zahl der Krankentransporte von Patienten. Perspektivisch sollen alle 345 Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen am Virtuellen Krankenhaus beteiligt werden. Besonders in den ländlichen Regionen profitieren die Menschen von diesem Ansatz, der nicht an Bundesländergrenzen stoppen sollte.

Vielen Dank für das Gespräch, Tina! 

 

Das Whitepaper zum Download sowie alle weiteren Informationen zur Studie finden Sie hier.

 

Tina Wulff

Dr. Tina Wulff ist Leiterin Digital Health bei Sopra Steria.


 

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